28. February 2019- 28. February 2019 | Berlin

Kurzbericht "Was ist uns die staatliche Neutralität wert?"

Kurzbericht "Was ist uns die staatliche Neutralität wert?"
in Kooperation mit Frauen für Freiheit e. V.

Autor: Gero Ambrosius

Lehrerinnen in Nonnentrachten, Kruzifix-Anhänger, Kreuze an den Wänden und überall Bezüge auf das Christentum – und das an einer staatlichen Schule. Wenn dann noch die überwältigende Mehrheit der Schüler Christen sind, dann sei das sehr einschüchternd für vereinzelte anders- oder nichtgläubige Kinder. Spätestens in einer so klaren Ausprägung sei der Schulfrieden und die gebotene staatliche Neutralität nicht mehr gegeben. So erläuterte der Jurist und ehemalige Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhaus Erol Özkaraca bei einem Glas Wein die Notwendigkeit, Lehrer genauso wie andere Staatsbedienstete zu verpflichten, neutral aufzutreten. Das sei die Absicht hinter dem Berliner Neutralitätsgesetz, das ausdrücklich staatliche Neutralität verlangt, statt wie die Gesetze anderer Bundesländer Kopftücher zu verbieten, aber Lehrern die Vertretung christlicher Werte zu erlauben. Erol Özkaraca

Özkaraca hatte zuvor in einem etwa zweistündigen Vortrag im Rahmen einer Veranstaltungsreihe von Frauen für Freiheit e.V. kenntnisreich die juristische Einordnung und die Hintergründe des Streites um das Berliner Neutralitätsgesetz zwischen divergierenden Verfassungsgerichtsurteilen dargelegt. Im September 2003 war in Karlsruhe entschieden worden, dass es notwendig sei, gesetzliche Regelungen zu erlassen, wenn der Gesetzgeber möchte, dass seine Beschäftigten neutral auftreten. Daraufhin hatte das Land Berlin 2005 das Neutralitätsgesetz verabschiedet. 2015 jedoch entschieden die Verfassungsrichter in Karlsruhe, dass ein generelles Verbot religiöser Symbole für Lehrer und Lehrerinnen unzulässig sei, wenn es in der jeweiligen Glaubensauffassung ein religiöses Gebot darstellt, sie zu tragen. Wenn also ein gläubiger Mensch es als seine religiöse Pflicht betrachtet, ein nach außen sichtbares Symbol mit sich zu führen, könne das nicht pauschal verboten werden. Ein Verbot sei nur rechtmäßig, wenn eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens im Einzelfall vorliege. Eine abstrakte Gefahr reiche hier wegen der Schwere der Religionsfreiheit in der Verfassung als Begründung für ein Verbot nicht aus.

Als ehemaliger SPD-Abgeordneter für Berlin-Neukölln kennt Özkaraca die Zustände an zahlreichen Schulen gut, in denen deutlich eine religiöse Dominanz den Schulfrieden und damit die staatliche Neutralität gefährdet. Freilich nicht eine christliche, sondern eine islamische Dominanz aufgrund entsprechender Religionszugehörigkeit von teilweise annähernd 100 % der Schülerschaft. Nun zuzulassen, dass auch die Lehrerschaft etwa durch Kopftuch tragende Kolleginnen offen islamisch auftritt, bedeute mehr als nur eine abstrakte Gefahr. Özkaraca wirft den Verfassungsrichtern vor, zu sehr von ihren persönlichen Erfahrungen im beschaulichen Karlsruhe auszugehen und die Situation von Brennpunktschulen in muslimisch geprägten Großstadtvierteln nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Außerdem obliegt es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nun der Schulbehörde bzw. den Schulen selbst, in jedem Einzelfall die konkrete Gefährdung des Schulfriedens festzustellen, um an der jeweiligen Schule das Tragen von religiösen Symbolen zu verbieten